Optionen für finanzielle Handlungsspielräume in Nordrhein-Westfalen

Ausstieg aus den Kohlesubventionen und Verzicht auf den Metrorapid

07.02.2002
von Ronald Pofalla MdB, Vorsitzender des CDU-Bezirksverbandes Niederrhein

Die Finanzsituation des Landes Nordrhein-Westfalen ist katastrophal. Auf dem Landeshaushalt lastet ein gigantischer Schuldenberg, der schon jetzt die Handlungsfähigkeit der politischen Entscheidungsträger gegen null tendieren lässt. Nach den jüngsten Entwicklungen taumelt das Land einer neuen Schuldenwelle entgegen. NRW musste im Jahr 2001 die massivsten Steuerausfälle in seiner Geschichte hinnehmen. Die Unternehmenssteuerreform und Erstattungen bei der Körperschaftssteuer an große Firmen mit Sitz in NRW rissen ein Loch von über 4 Milliarden Mark in die Landeskasse. Die Prognosen für den Haushalt 2002 sehen ähnlich düster aus, da allein die Steuerausfälle auf 1,7 Milliarden Mark beziffert werden. Angesichts dieser immensen Summen wirken sich die Vorschläge der Landesregierung wie Pfennigfuchserei aus, wenn nun Milliarden-Stützpfeiler wegbrechen. Außerdem bewegt sich der Landeshaushalt mittlerweile seit Jahren auf verfassungsrechtlich sehr dünnem Eis.

Die Handlungsalternativen für den Ausweg aus der Schuldenfalle dürfen sich nicht in der kontinuierlich steigenden Neuverschuldung Nordrhein-Westfalens erschöpfen, zumal neue Belastungen vor der Tür stehen. Allein die sicherheitspolitischen Herausforderungen der Terrorbekämpfung werden in den nächsten fünf Jahren 370 Millionen Mark an Kosten verursachen, womit auch nur die gröbsten Versäumnisse der letzten Jahre auf dem Gebiet der inneren Sicherheit ausgebessert werden. Dass an anderen Stellen des Etats verbissen um Bruchteile dieser Summe gefeilscht wird, offenbart nur, dass dringend über Lösungskonzepte in größeren Dimensionen nachgedacht werden muss.

In diesem Zusammenhang sollte vor allen Dingen einmal grundsätzlich die Förderung des heimischen Steinkohlebergbaus im kontinentalen Kontext der europäischen Kohleförderungspolitik problematisiert werden. Der Energieträger Kohle unterliegt wie die Montanindustrie speziellen Marktbedingungen und Wettbewerbsverhältnissen. Im Rahmen der europäischen Integration und der Harmonisierung nationaler Rivalitäten und Interessen entstand 1952 die "Europäische Gemeinschaft für Kohle und Stahl" (EGKS), die entscheidend zur ökonomischen und sozialen Konsensbildung beitrug. Im EGKS-Vertrag wurden Ausnahmeregelungen vereinbart, auf deren Basis staatliche Beihilfen für den Steinkohlebergbau gewährt werden können.

Seitdem ist die Fördermenge der Steinkohle in den mittlerweile 15 EU-Mitgliedsstaaten von jährlich 600 Millionen auf unter 86 Millionen Tonnen gesunken. Davon entfallen 26 Millionen Tonnen auf die derzeitige deutsche Produktion, für die im Jahr 2000 9,2 und 2001 ca. 8,1 Milliarden Mark als Beihilfen gewährt wurden. Dem gegenüber beträgt die britische Fördermenge 39 Millionen Tonnen – wohlgemerkt subventionsfrei. Die spanischen 16 Millionen Tonnen werden jährlich mit 2 Milliarden Mark subventioniert, wobei die Produktion auf einen Auslaufbergbau hinsteuert. Die restlichen 5 Millionen Tonnen aus Frankreich erhalten lediglich noch Stilllegungsbeihilfen. Dort wird die Produktion bis 2005 komplett eingestellt. Von den unausweichlichen Stilllegungsentscheidungen werden auch die Beitrittskandidaten zur EU-Erweiterung betroffen sein, in denen Steinkohleförderung noch eine Rolle spielt. Trotz bedeutender Vorkommen werden auch Polen, die Tschechische Republik und Rumänien Maßnahmen ergreifen müssen, ihre Steinkohleproduktion schrittweise umzustrukturieren, da sie international nicht wettbewerbsfähig ist und ebenfalls subventioniert werden müsste.

Der deutsche und insbesondere der nordrhein-westfälische Steinkohlebergbau steht nunmehr vor dem Problem, dass der EGKS-Vertrag im Juli 2002 ausläuft und damit Beihilfen den allgemeinen Regelungen des EG-Vertrages unterstellt werden. Von diesem Zeitpunkt an müssen Europäische Kommission und EU-Rat jeder Vereinbarung über 2002 hinaus zustimmen. Weitere Subventionen für die deutsche Steinkohleförderung werden daher aufgrund der divergierenden Interessenlagen der 15 Mitgliedsstaaten immer schwieriger durchzusetzen sein. Wenn die EU einer Verlängerung der Kohlesubventionen zustimmen sollte, dann ohnehin nur unter der Bedingung, dass ein endgültiger, konkreter Termin für das Auslaufen der Beihilfen vereinbart wird.

Darüber hinaus muss die prinzipielle Frage aufgeworfen werden, ob staatliche Beihilfen überhaupt geeignet sind, die Strukturkrise des Steinkohlebergbaus in den Griff zu bekommen – und ob es tatsächlich eine zukunftsorientierte Perspektive für eine lebens- und leistungsfähige Steinkohleindustrie in der Bundesrepublik gibt. Oder im europäischen Zusammenhang formuliert: Soll die Steinkohle als heimischer Brennstoff in eine europäische Strategie zur Sicherung der Energieversorgung einbezogen werden?
Die Antworten aus Brüssel sind eindeutig: Das Strategiepapier der EU-Kommission vom 17. Mai 2001 sieht nicht nur den vollständigen Subventionsabbau für fossile Energieträger bis 2010 vor, sondern setzt zudem eine Konzentration der Regional- und Strukturpolitik auf die ärmsten und am wenigsten entwickelten Regionen in der EU auf die Tagesordnung.

Das Strategiepapier setzt die konsequente Linie fort, deren Grundzüge die Kommission in ihrem Grünbuch vom 29. November 2000 entfaltet hat. Auch dort wird die Steinkohle nicht mehr als energiepolitische Option betrachtet. Die ungünstigen geologischen Rahmenbedingungen und die hohen Sozialschutznormen sorgen dafür, dass die durchschnittlichen Produktionskosten der europäischen Steinkohle beim Drei- bis Vierfachen des Weltmarktpreises liegen. Insofern liegt ihre Wettbewerbsfähigkeit mehr als deutlich unter der von Importkohle. Die Sicherung der Energieversorgung muss aber im Sinne der Bürger und der Wirtschaft berücksichtigen, dass Energieträger zu stabilen und verkraftbaren Preisen kontinuierlich zur Verfügung stehen – für die Industrie wie die Privathaushalte. Somit hat die Steinkohleförderung in Deutschland unter wirtschaftlichen Gesichtspunkten in der Union keine Zukunftsaussichten mehr.

Vor diesem Hintergrund ist auch die Beibehaltung eines langfristigen nationalen Versorgungssockels – welchen Umfang er auch haben mag – nicht nachvollziehbar. Es besteht keine Notwendigkeit, mit einer Sockellösung erneut Milliarden an Staatsgeldern auszugeben, wenn aus politisch stabilen Regionen Steinkohle zu einem Bruchteil des deutschen Preises im Überfluss auf dem Weltmarkt zu haben ist. Zudem wird die EU in einem subventionsfreien Binnenmarkt keinen Fremdkörper tolerieren, der sich über einen Versorgungssockel ein Schlupfloch für Beihilfen erhalten will. Statt dessen sieht der Ansatz der EU-Kommission vor, dass die Milliardensubventionen in einen wichtigen Beitrag zur Nachhaltigkeit kanalisiert werden können, wenn mit den Geldern Energiesparmaßnahmen und die Entwicklung schadstoffarmer Energien gefördert werden.
Da alle anderen EU-Mitgliedsstaaten die subventionierte Kohleförderung spätestens 2005 auslaufen lassen, muss auch für die Bundesrepublik über einen sozial verträglichen Ausstieg diskutiert werden. Es ist an der Zeit, sich von der trügerischen Illusion zu lösen, der Steinkohlebergbau in Deutschland sei eine zukunftsträchtige Industrie. Es geht nicht mehr darum, ob die Subventionen gestoppt werden, sondern wann. Davon würde auch der nordrhein-westfälische Haushalt profitieren. Allein die Titel "Förderung des Bergbaus" und "Anpassungsgeld für Arbeitnehmer im Steinkohlebergbau" liegen im Jahresetat für 2002 zusammen bei rund 1,1 Milliarden Mark. Anstatt sich im Gezerre um kleine Haushaltstitel zu verzetteln, die ohnehin nur ein Tropfen auf dem heißen Stein sind, sollte offen über sozial verträgliche Ausstiegsmodelle aus dem Steinkohlebergbau bis zum Jahr 2010 diskutiert werden. Nur in diesen Dimensionen lassen sich finanzielle Handlungsspielräume für Nordrhein-Westfalen zurück gewinnen.

Im Zusammenhang mit den desolaten Landesfinanzen muss auch grundsätzlich geprüft werden, ob die milliardenschwere Investition in den Metrorapid zu bewältigen ist. Zwar gibt es gute Gründe für den Einsatz der Magnetschwebetechnik im Personennahverkehr: Lärmarmut beim Durchfahren dichtbesiedelter Regionen, Zwischenhalts ohne großen Zeitverlust wegen des hohen Beschleunigungsvermögens möglich, Befahren von Steilstrecken wegen des großen Steigvermögens der Magnet-Schwebezüge, geringere Wartungs- und Instandhaltungskosten und ein relativ niedriger Energieverbrauch. Allerdings erscheint es mehr als zweifelhaft, ob der so geplante Metrorapid überhaupt eine sinnvolle Ergänzung zur bestehenden Verkehrsinfrastruktur der Rhein-Ruhr-Region ist. Die Vielfach geforderte Referenzstrecke für einen "Transrapid" sieht anders aus.

Mit Blick auf die leeren Haushaltskassen ist zu Recht zu hinterfragen, wie das geschätzte Investitionsvolumen von 7,2 Milliarden Mark für die Basisstrecke Dortmund – Bochum-Essen – Mülheim an der Ruhr – Duisburg – Düsseldorf / Flughafen - Düsseldorf gestemmt werden soll. Es stehen maximal 4,4 Milliarden Mark an Bundesmitteln zur Verfügung, aber es ist fraglich, ob die Summe überhaupt in vollem Umfang in das Metrorapid-Projekt fließen wird. Die Gelder werden voraussichtlich aufgeteilt, da sich auch Bayern mit einer Trasse bewirbt. Damit ist der Metrorapid mit wenigstens 2,8 Milliarden Mark unterfinanziert. Zudem ist es im übrigen der Landesregierung bislang nicht gelungen, auch nur einen einzigen privaten Investor für den Metrorapid zu gewinnen.

Die Konsequenz wäre, den Metrorapid als Nahverkehrsmittel einzustufen und aus Landesmitteln zu finanzieren. Das hätte jedoch zur Folge, dass in den kommenden 6–8 Jahren sämtliche Fördermittel nur noch dem Metrorapid zugute kämen und so landesweit andere Projekte langfristig auf Eis gelegt wären. Daraus ergäben sich auch negative Konsequenzen für alle anderen Nahverkehrsangebote in NRW. Die planerisch-politische Aufmerksamkeit und die Finanzmittel würden noch stärker auf den Ruhrgebietskorridor konzentriert, und dem bestehenden Nahverkehr droht ein Ausbaustopp.

Darüber hinaus ist die Wirtschaftlichkeit des Vorhabens nicht gesichert. Die jährlichen Betriebskosten werden auf 130 Millionen Mark geschätzt, die Einnahmen aus Ticketverkäufen jedoch lediglich auf 80 Millionen Mark. Die fehlenden 50 Millionen Mark sollen in den Planungsüberlegungen durch die Abbestellung von jährlich 2,9 Millionen Zugkilometern bei der Bahn erwirtschaftet werden. Die abbestellten Kilometer müssten dann an anderen Stellen im ÖPNV-Bereich eingespart werden, so dass sich das vorhandene Angebot im Nah- und Regionalbereich drastisch verschlechtert. Dabei handelt es sich um nichts anderes als die verdeckte Subventionierung eines unwirtschaftlichen Unternehmens. Insofern gleicht die Kosteneffizienz des Metrorapids einem Desaster.

Es ist auch fraglich, welche Vorteile der Metrorapid für seine Benutzer mit sich bringt. Die Zeitersparnis auf der gesamten Strecke von Düsseldorf bis Dortmund beträgt im Vergleich zum ICE lediglich sieben Minuten – ein minimaler Vorteil, der über 7 Milliarden Mark Kosten einfach nicht rechtfertigt. Bei dem - laut Prognosen - zu erwartenden Bevölkerungsrückgang gerade in den Ruhrgebietsstädten erscheinen auch die für das Projekt zwingend erforderlichen Fahrgastzuwächse mehr als unrealistisch. Bei einem Metrorapid-Zuschlag, der gegenwärtig diskutiert wird, wird sich die Zahl potenzieller Nutzer noch einmal deutlich reduzieren.

Weshalb also sollte man Milliarden in ein Projekt investieren, dessen Finanzierung einem Flickenteppich gleicht, dessen Wirtschaftlichkeit nicht gesichert ist, das dem Nutzer kaum nennenswerte Vorteile bietet und das andere, dringend benötigte Verkehrsprojekte – vor allen Dingen in den ländlichen Regionen - auf Jahre hinaus blockieren wird? Nach Abwägung der Vor- und Nachteile des Metrorapids sollte man angesichts der verheerenden Haushaltssituation in Nordrhein-Westfalen bei aller Technologiefreundlichkeit vom Metrorapid abrücken. Derartig hohe Investitionen müssen wichtigeren Projekten als einem Prestigeobjekt zukommen.