Auch für Volksparteien wird das Klima rauer

Interview mit Rotger Kindermann

08.08.2019
Interview für EJ-Newsletter 7.7.2019

Die Europawahl hat das Parteiensystem in Deutschland durcheinander gewirbelt. Plötzlich sind die Grünen auf Platz eins oder zwei, die Union muss um ihre Spitzenposition zittern, die SPD liegt abgeschlagen auf dem dritten Platz – schon gefährlich nahe bei der AFD. Was ist geschehen? Zweifellos hat die Klimadebatte den Wahlausgang elementar beeinflusst. Danach erhält die Große Koalition aus CDU/CSU und SPD keine Mehrheit mehr. Hatte man die SPD-Verluste schon vorhergesagt, ist jetzt auch die CDU von bedrohlichen Einbrüchen betroffen. Darüber sprechen wir dem Vizepräsidenten der European Journalists, Rotger Kindermann, der die deutsche Parteienszene und insbesondere die CDU seit langen beobachtet:

Frage: Die Nachbeben der Europawahl erschüttern das politische Berlin noch heute. Auch die CDU muss kräftige Stoßwellen ertragen. Was ist bei ihr im Wahlkampf schief gelaufen?

KINDERMANN: Die CDU war bei ihrer Themensetzung zu diffus und beim aktuell wichtigen Thema Klimaschutz wurde sie kaum wahrgenommen. Oder sie hat es sich aus der Hand nehmen lassen. Es ging bei dieser sog. Schicksalswahl eigentlich um das Fundament Europas. Darum, den Zerfall der EU abzuwenden, Rechtsstaat und Gewaltenteilung zu schützen, Rückfall in den Nationalismus zu bekämpfen, die Pressefreiheit zu verteidigen und vor allem die politische Mitte des Europaparlaments zu stärken. Zur Abwendung dieser Gefahren hätte die CDU als der engagierte Retter Europas auftreten müssen. Das wurde versäumt, obwohl die CDU seit ihrer Gründung die Europapartei war. Mit solch einfallslosen Slogans von Heimat, Frieden und Wohlstand kann man keine Wähler motivieren, im Vergleich zu anderen Parteien war das völlig uninspiriert.

Frage: Glauben sie wirklich, weniger Wähler wären von der CDU abgewandert, wenn sie in der Klimapolitik mehr Profil gezeigt hätte. Die Leute wählen bei solchen Themen doch lieber das Original – und das sind nun mal in dieser Frage die Grünen.

KINDERMANN: Zumindest hat die CDU es verpasst, die erreichten Erfolge offensiv zu kommunizieren – der beschlossene Kohleausstieg bis 2038, die Förderung alternativer Kraftstoffe und der E-Mobilität, den Ausbau der Radwege oder ein Dutzend weitere Maßnahmen. Stattdessen hat sie zugesehen, wie die Grünen suggerierten, Berlin sei für das schlechte Klima der gesamten Erde verantwortlich. Dabei kommen ganze zwei Prozent der weltweiten CO2 – Emissionen aus Deutschland. Hier ist bald Schluss mit Kohle, in 13 anderen EU-Staaten sind aber neue Kohlekraftwerke in Bau oder geplant, weltweit sind es angeblich 1400, was man kaum glauben mag. Greta Thunberg und ihre follower sollten lieber in Warschau und Washington demonstrieren oder dort, wo wirklich die Ursachen liegen. Alles andere ist argumentativ unsauber und irreführend. Die fast heiliggesprochene Schülerin wirkt an dieser Stelle ziemlich scheinheilig auf mich. Ihre mediale Überrepräsentation hat sicherlich das Wahlergebnis beeinflusst.

Frage: Sind denn Schulstreiks Ihrer Meinung nach zulässig auf Grund der besonderen Klima-Bedrohung?

KINDERMANN: Keine Frage, das Thema ist emotional stark aufgeladen, die Politik hat es zu zögerlich behandelt und es ist absolut zu begrüßen, wenn die Jugend sich dafür engagiert. Bei aller begründeten Kritik haben Schüler kein Recht deswegen zu streiken, also den Unterricht zu verweigern. Sie sind doch keine Arbeitnehmer, die beim Arbeitgeber höhere Löhne oder kürzere Arbeitszeiten durchsetzen wollen. Eine völlig abwegige Ansicht, die auch Youtuber Rezo in seinem CDU-Zerstörungs-Video vertreten hat. Wir kennen in ganz Europa eine Schulpflicht, alles andere ist politische Agitation, wie sie leider in der Subkultur des Internets gefährlich grassiert.

Frage: Rezo behauptet ja, die Klimapolitik werde von CDU aber auch SPD sträflich vernachlässigt,  man dürfe die Parteien deshalb nicht wählen. Ist das Meinungsmache oder läuft das unter Meinungsfreiheit?

KINDERMANN: Wer seine Meinung äußert, beeinflusst andere Meinungen. Da gibt es nichts zu deuteln. Ich bedauere nur, dass niemand von den CDU-Vorderen diesem Maulhelden eine passende Antwort gegeben hat. Man hörte nur Gestammel. Teile des Videos waren an der Grenze des Hasses, andererseits liegt er bei einigen Punkten durchaus richtig, mancher Einspieler war peinlich und entlarvend. Jedenfalls war Rezo‘s Video ein Beitrag zur Zerstörung der Debattenkultur und die sollte gerade bei der Lösung des Klimakrise erhalten bleiben.  Es gab mal Zeiten, da hat die CDU mit Umweltministern wie Töpfer oder Merkel dieses Thema kompetenter behandelt. Das ist lange her. Seitdem ist ihr die Expertise dazu weitgehend verloren gegangen. Heute kommen acht Landesumweltminister von den Grünen, nur zwei (NRW Und Sachsen) von der CDU. Und die Beantwortung der Frage, mit welchen Instrumenten wir das Klima schützen, dauert einfach zu lange und wirkt auch manchmal wenig überzeugend.

Frage: Wie meinen Sie das konkret?

KINDERMANN: Die CDU will die Klimawende mit marktwirtschaftlichen Instrumenten erreichen. Das heißt, sie setzt auf den Ausgleich von ökologischen und ökonomischen Erfordernissen. Es dürfen dabei keine Arbeitsplätze verloren gehen und Energie darf nicht verteuert werden. Alles im Prinzip sehr richtig. Ich frage mich nur, ob man immer an diesen Prinzipien festhalten kann - angesichts der Schärfe und Dringlichkeit des Problems. Jedenfalls ist die Zeit der beratenden Expertenrunden bald abgelaufen, Entscheidungen müssen her. Und dabei werden Verbote – oder nennen wir es christlicher „Gebote“ - sich nicht vermeiden lassen.  Konkret könnte das heißen: Tempolimit wie in fast allen EU-Staaten, Bauvorschriften für Automotoren, Nutzungsverbote von Kaminöfen, gezielte Preisanhebung für Flugreisen - um nur willkürlich einige Beispiele aufzugreifen. Wenn die Politik nicht sehr bald Maßnahmen beschließt, deren Wirksamkeit nachweisbar ist, kann es zu spät sein. Und wenn sie die Menschen fragen, ob wir ihnen lieber ihren Arbeitsplatz erhalten oder ihre nackte Existenz retten sollen, dann ist die Antwort eindeutig. Unser Klima ist eben kein „normales“ politisches, sondern ein sehr existenzielles Problem. Ich glaube, die meisten CDU-Mitglieder sehen das ähnlich.

Frage: Dann darf auch eine Besteuerung kein Tabu sein?

KINDERMANN: Das ist eher eine Frage an Experten, ich bezweifle aber nicht, dass wir eine CO2-Bepreisung brauchen. Ob durch Steuern oder ein Zertifikate-System, es muss nur zügig umsetzbar sein, muss den Verbrauch verteuern, darf nicht zu einer höheren Gesamtbelastung der Bürger führen und muss vor allem von ihnen als gerechter Schritt verstanden werden. Vielleicht ist deswegen eine Steuer sogar einfacher zu vermitteln, das kennt jeder. Die Frage ist, womit erreichen wir eine schnellere und bessere Lenkungswirkung.

Frage: Hat die Klimakrise das Potenzial, einen Keil zwischen die Generationen zu treiben? Wird das Thema in der Gesellschaft zu unterschiedlich bewertet?

KINDERMANN: Ich hoffe nicht, denn meiner Enkeltochter möchte ich eine heile Welt hinterlassen, das will ja jeder! Gerade die Bewahrung der Schöpfung ist für eine christliche Partei ein sehr elementares Ziel. Bei dieser Aufgabe sollten alle Generationen an einem Strang ziehen. Allerdings gibt es schon ein Problem: Der Klimawandel bewegt besonders Menschen, die in der oberen Gesellschaftshälfte leben. Es ist eine Bewegung der höher gebildeten Jugendlichen, wie Jugendforscher Bernhard Heinzlmaier sagt. Aber auch des bürgerlichen Mittelstandes, würde ich ergänzen. Dort, wo die Zukunftsangst eher materiell begründet wird, findet die Klimadebatte kaum statt. Vielleicht wäre es gerade für die letzte Volkspartei CDU eine interessante Aufgabe, alle gesellschaftlichen Schichten gleichermaßen bei dem Thema Klimawandel mitzunehmen.

Frage: Da muss die letzte Frage ja lauten: Haben die Volksparteien in Europa überhaupt noch eine Zukunft?

KINDERMANN: Ich denke schon, aber auch für die sog. Volksparteien wird das Klima rauer. Überall in der Europäischen Union erkennen wir parteipolitische Erosionen, nicht nur auf der Links-Rechts-Achse sondern auch fachlich-themenspezifisch wie die Piraten als Netzpartei oder die Tierschutzbewegungen bei der Europawahl. Die traditionelle wertegebundene Partei als Sammelbecken für Gleichgesinnte ist für die junge Generation nicht mehr zeitgemäß. Deren Politikstil ist ihnen zu konformistisch, zu wenig spontan, zu angepasst. Sie haben keinen Bock auf Mitgliederversammlungen mit langweiligen Regularien und personellen Streitereien. Volksparteien werden nur weiter existieren, wenn sie sich stilistisch und organisatorisch dem Zeitgeist anpassen, wenn sie in der Kommunikation kreativer werden, wenn sie sich thematisch stärker differenzieren und spezialisieren (also Untergruppen für Digitales, Klima, Gesundheit/Fitness oder Kultur, etc.) und so die Menschen in ihrem persönlichen Umfeld ansprechen. Parteimitglieder wollen sich nicht nur für die Demokratie engagieren, gerade die Jüngeren möchten auch einen persönlichen Nutzen haben. Sie wollen Spaß daran haben, sich mit anderen auseinanderzusetzen. Insofern wäre dringend zu wünschen, dass wir endlich echte europaübergreifende Parteien schaffen, wo sich junge Menschen international über ihre Zukunftsmodelle austauschen, wo sie vielsprachig und vielfältig Erfahrungen sammeln und die letztlich auch mit länderübergreifenden Listen für EU-Mandate kandidieren. Das würde die Parteien wieder attraktiver machen. Vermutlich werden wir aber in Zukunft alles, was mehr als 25 Prozent der Wähler erreicht, als „Volkspartei“ bezeichnen.