145 Neueinstellungen in Neuss gestoppt. Investitionen werden gekürzt.

Wunsch der Patienten nach mehr Verantwortung wird ignoriert

13.12.2002

Als „blanken Zynismus“ bezeichnete der Neusser Bundestagsabgeordnete Hermann Gröhe das von der Bundesregierung im Koalitionsvertrag formulierte Bekenntnis zu mehr Wettbewerb im Gesundheitswesen. Anlass war sein Besuch bei dem in Neuss ansässigen Pharmaunternehmen Janssen-Cilag. In einer angeregten Diskussion mit Firmenvertretern informierte er sich über die Auswirkungen des so genannten Vorschaltgesetzes auf den Pharmastandort Deutschland.

Reformansätze im Gesundheitswesen würden „im Keim erstickt“, so Gröhe. „Statt die gesetzliche Krankenversicherung mit grundlegenden Reformen auf die kommenden Herausforderungen vorzubereiten, gibt es weniger Wettbewerb und mehr Bürokratie.“ Jüngstes Beispiel dafür sei die Absage der Gesundheitsministerin an den Selbstbehalt-Modellversuch der Techniker Krankenkasse. Den Ansatz eines mit Beitragsbonus kombinierten Selbstbehalts werteten die Diskussionsteilnehmer als interessanten Versuch, eine neue Qualität des Wettbewerbs in der gesetzlichen Krankenversicherung auf der Basis größerer Selbstbestimmungsmöglichkeiten anzuregen. Indem die Gesundheitsministerin dieser Option aber nur einer sehr kleinen Gruppe der TK-Versicherten zugänglich machen möchte – nur freiwillige Versicherten ab mindestens einem Jahr Mitgliedschaft –, erteile sie einem innovativen Vorstoß in Richtung mehr Patientenverantwortung und –mitbestimmung eine klare Absage.

Jaak Peters, Vorsitzender der Geschäftsleitung von Janssen-Cilag, sieht darin einen deutlichen Widerspruch zu den Interessen der Patienten. Eine von Janssen-Cilag initiierte und mit Hilfe namhafter Experten durchgeführte Befragung von 1000 Versicherten* hat nämlich gezeigt, dass sich 93,5 Prozent der gesetzlich krankenversicherten Deutschen mehr Flexibilität bei ihren Versicherungsleistungen und Tarifangeboten wünschen und eine deutliche Bereitschaft zeigen, durch eigene Entscheidungen mehr Verantwortung zu übernehmen. Gröhe wertete dies als Bestätigung, „dass wir in der Gesundheitspolitik viel stärker auf mündige Versicherte setzen müssen“.

Weitere Themen des Gesprächs waren der von der rot-grünen Bundesregierung geplante Zwangsrabatt und Festbetrag für innovative patentgeschützte Präparate. Nach Einschätzung von Peeters haben sie eine „fatale Wirkung“ auf Investitionen am Standort Deutschland. Gröhe bezeichnete diese Maßnahmen als „höchst problematisch“ und klaren „Wort- und Vertrauensbuch der Bundesregierung gegenüber der Pharmaindustrie“. Erste Konsequenzen dieser Einschnitte im Arzneimittelsektor muss auch Janssen-Cilag bereits ziehen: Die für 2003 am Neusser Standort geplanten 145 Neueinstellungen fallen einem Einstellungsstop zum Opfer. Darüber hinaus müssen die Investitionen für das kommende Jahr um einen zweistelligen Millionen Euro-Betrag gekürzt werden.

Einig waren sich die Gesprächsteilnehmer, dass restriktive Eingriffe, wie sie in den Einsparplänen der Bundesregierung deutlich würden, ein Signal in die falsche Richtung seien und sowohl die Arbeitnehmer als auch die Patienten zu Verlierern machten. „Statt weiterer planwirtschaftlicher Eingriffe müssen endlich die nötigen Reformschritte und die Umsetzung zukunftsweisender Konzepte hin zu einer stärker wettbewerblich orientierten Gesundheitssystem eingeleitet werden“, resümierte Gröhe. Die Stärkung von Patientenrechten und mehr Eigenverantwortung sowie eine individuellere Gestaltung des Krankenversicherungsschutzes seien dabei unabdingbare Voraussetzungen. Dies belege eindrucksvoll die Janssen-Cilag-Bevölkerungsstudie.

* „Der Patient vor der Wahl. Durch mehr Wissen zu mehr Verantwortung“. Aus der Delphi-Studienreihe zur Zukunft des Gesundheitswesens.