Christian Wulff eröffnete den Europawahlkampf der CDU

"Nicht klagen, sondern Zukunft gestalten"

09.02.2004
Neuß-Grevenbroicher Zeitung vom 9. Februar 2004

"Nicht klagen, sondern Zukunft gestalten" (Foto: Neuß-Grevenbroicher Zeitung vom 9. Februar 2004)

Foto: Neuß-Grevenbroicher Zeitung vom 9. Februar 2004

Hermann Gröhe MdB, ein Freund aus "alten Zeiten bei der Jungen Union" und "Novesia Goldnuss, die einzige Schokolade mit ganzen Nüssen" - Christian Wulff, Ministerpräsident von Niedersachsen und stellvertretender Bundesvorsitzender der CDU, der am Samstag im Zeughaus den Europawahlkampf der Union eröffnete, wusste mit Neuss mehr anzufangen, als viele seiner Parteifreunde in der Quirinusstadt erwartet hatten.

Neuss, so Wulff schmunzelnd, habe durchaus das Zeug zum Vorbild: Dass Landrat Dieter Patt die Kreisumlage senken wolle, habe sich bis nach Niedersachsen herumgesprochen. Auch von Finanzpolitik nach Neusser Art - nie mehr ausgeben, als vorhanden, und "stille Reserven" für schlechte Zeiten sichern - könne der Bund profitieren: "Das wäre doch etwas für Hermann Gröhe, wenn er einmal Finanzminister wird."

Wulff begeisterte die gut gefüllten Ränge im Zeughaus mit Humor, aber auch mit klarer Kampfansage an die SPD, die Deutschland vom Spitzenreiter zum Schlusslicht in Europa gemacht habe. Die deutsche Wirtschaft, so Wulff, stehe am Scheideweg: Exzellenz oder Exodus - zwischen einem Durchstarten in einer erweiterten Europäischen Union oder dem Auszug der Unternehmen in andere Länder eben dieses vereinigten Europas.

Deutschland brauche jetzt den Mut zu Reformen, die Voraussetzung für wirtschaftlichen Erfolg und gesellschaftliche Stabilität in einer Welt im Wandel seien. Die rot-grüne Koalition jedoch habe das Vertrauen nicht nur der eigenen Wähler in die Politik verspielt: "Politik wird heute mit Unfähigkeit verbunden."

Wer sich aus der Verantwortung stehle, so der Ministerpräsident, werde unglaubwürdig. An solchen Negativ-Beispielen mangele es nicht. Florian Gerster, Ex-Chef der Bundesagentur für Arbeit, der sein Gehalt verdoppelt, seine Mannschaft - offenbar um den fähigen Teil - halbiert habe, um dann festzustellen, dass er ohne millionenschwere Beraterverträge nicht weiterkommt, war eines von Wulffs Paradebeispielen.

Apropos Berater: In seiner Kritik an Unternehmensberater Roland Berger, der hohe Honorare für Gutachten von zweifelhaftem Wert kassiert habe, konnte sich Wulff nicht nur durch lauten Beifall, sondern auch durch Landrat Dieter Patt bestätigt fühlen, der die Inflation der Beraterverträge als "verheerend" bezeichnete: "Wir brauchen keine Berater, sondern eine erfolgreiche Politik."

Auswege sieht der stellvertretende CDU-Bundesvorsitzende - wen wundert's - nicht in der neuen Machtverteilung innerhalb der SPD. Der neue Parteivorsitzende dort, Franz Müntefering, sei in den vergangenen Monaten nur mit der Forderung nach einer Ausbildungsplatzabgabe aufgefallen - "eine einfache Antwort, aber was ist die Folge: unter dem Strich weniger Lehrstellen".

Kurz skizzierte Wulff die Reformkonzepte der Union: den Faktor Gesundheit vom Faktor Arbeit entkoppeln, Einführung eines Prämienmodells im Gesundheitswesen, das 1,4 Millionen Arbeitsplätze schaffe, statt - wie eine Bürgerversicherung - 1,2 Millionen Jobs zu vernichten, sozialer Ausgleich mit einer Steuerreform à la Friedrich Merz, Renteneintritt mit bis zu 67 Jahren, Frühverrentung stoppen.

Mehr Verantwortung erwartet der Ministerpräsident aber auch von der Wirtschaft: Wenn - wie bei der Commerzbank - Betriebsrenten gekürzt würden, sei dies nicht geeignet, um Menschen zu überzeugen, sich mit betrieblicher und privater Vorsorge stärker fürs Alter abzusichern. "Politik heißt, die Wahrheit sagen und den Menschen anschließend über den Schock hinweg helfen", zitierte Wulff einen früheren US-Botschafter und rief zu mehr Eigenverantwortung und Optimismus aus: "Deutschland steckt voller Potenziale, wir müssen sie nur endlich nutzen."

Die Neusser CDU hatte der Ministerpräsident dafür auf seiner Seite - ihr Dank: stehende Ovationen und (in Aachen produzierte) Novesia Goldnuss.

Frank Kirschstein