Interview mit dem CDU-Landeschef und Spitzenkandidaten Jürgen Rüttgers

Freiheit statt Bürokratisierung

25.02.2005
Neuss-Grevenbroicher Zeitung vom 25. Februar 2005

Am Sonntag, dem Tag der Schleswig-Holstein-Wahl, ging er im Vergleich zum morgendlichen Aufstehen abends fröhlicher zu Bett : „Weil ich Gast bei Thomas Gottschalk in ,Wetten, dass’ war und es in Erfurt eine lange Nacht geworden war.“ In 86 Tagen will Jürgen Rüttgers (53) die nordrhein-westfälische CDU in die Landesregierung führen. Seine Erkenntnis aus der Wahl im nördlichsten deutschen Bundesland fasst er so zusammen: „Frau Simonis war beliebt, hat aber den Niedergang der SPD nicht aufhalten können. Steinbrück ist unbeliebt und wird die SPD in die Niederlage führen.“ NGZ-Redaktionsleiter Ludger Baten sprach jetzt im Düsseldorfer Landtag mit dem CDU-Spitzenkandidaten.

Herr Dr. Rüttgers, wie empfinden Sie als Wahlkämpfer die Stimmung an der Basis?

Rüttgers: Die Menschen kommen in so großer Zahl wie schon seit Jahren nicht mehr zu unseren Veranstaltungen. Das hat einen einfachen Grund: Sie wissen, mit Rot-Grün gibt’s keinen Aufschwung. Jetzt treibt die Leute die Frage um: Was macht die CDU besser? Die Netto-Botschaft, die ich empfange, lautet: Wenn ihr Christdemokraten eine überzeugende Antwort auf die brennenden Probleme gebt, dann wählen wir euch. Darum verprügele ich die Regierung in meinen Reden auch nicht mehr, sondern spreche Klartext über das, was wir vorhaben.

In NRW werden fast eine Million Arbeitslose gezählt. Klartext: Was würde Ministerpräsident Dr. Rüttgers einem Arbeitslosen sagen, der einen Job sucht?

Rüttgers: Politik schafft keine Arbeitsplätze. Wir können nur die Rahmenbedingungen so gestalten, dass es sich wieder lohnt, in Nordrhein-Westfalen zu investieren. Darunter verstehe ich zum Beispiel eine grundlegende Entbürokratisierung.

Rund fünf Millionen Unterrichtsstunden fallen landesweit aus. Wie wollen Sie in der Schulpolitik gegensteuern?

Rüttgers: Wir wollen 4000 zusätzliche Lehrer einstellen. Zur Finanzierung müssen wir an anderer Stelle Personal abbauen.

Wo sind diese anderen Stellen?

Rüttgers: Nach Aussagen von Ministerin Höhn gibt’s in der inneren Landesverwaltung, zum Beispiel in den Ministerien, rund 10 000 Stellen zu viel. Also werden wir dort anpacken.

Das klingt nach Strukturreform?

Rüttgers: Freiheit statt Bürokratie. Das ist unsere Grundphilosophie. Wir Politiker, und da schließe ich die CDU mit ein, haben den Fehler gemacht, den Menschen zu sagen: Wir lösen dein Problem. Das ging so lange gut, wie noch Geld in der Kasse war. Die CDU hat erkannt, dass wir die Leute von Vorschriften befreien müssen. Mit dem Gestaltungsspielraum kommt der Spaß. Darum sind wir gegen die großen Polizeipräsidien. Die Präsidenten werden vom Minister eingesetzt, während die Kreispolizeibehörde, also der Landrat, vom Volk gewählt wird. Das wollen wir.

Ministerin Schäfer will das Halbjahreszeugnis im dritten Schuljahr streichen. Begründung: Die Lehrer sollen entlastet werden. Was sagen Sie zu einem solchen Signal?

Rüttgers: Es ist immer dasselbe. Schritt für Schritt versucht Rot-Grün, die Einheitsschule einzuführen. Es werden längst Lehrer ausgebildet, die schulformübergreifend eingesetzt werden können. Steinbrück hat in Schleswig-Holstein erklärt, er wolle das Thema Einheitsschule nicht vor der Wahl diskutieren, sonst werde er abgewählt. Das heißt doch: Der Ministerpräsident täuscht die Menschen über die wahren Absichten der Koalition.

Die PISA-Studien zeigt auch, dass in Ländern mit integrierten Schulsystemen gute Ergebnisse erzielt werden.

Rüttgers: Die PISA-Studie sagt ausdrücklich, dass es keine Hinweise gibt, dass integrierte Systeme besser sind als differenzierte Systeme.

Sprechen wir über Inhalte. Was muss Schule heute den Kindern vermitteln?

Rüttgers: Ich möchte, dass Absolventen nordrhein-westfälischer Schulen wieder rechnen, schreiben und lesen können. Wir müssen zurückfinden zur Allgemeinbildung, und wir müssen uns wieder intensiv um die Praktischbegabten kümmern. Und: Es müssen Werte wie Pünktlichkeit, Fleiß, Disziplin oder Sauberkeit wieder vermittelt werden.