Diskussion im Neusser Caritashaus

Die Türkei und Europa

18.02.2004
Neuß-Grevenbroicher Zeitung vom 19. Februar 2004 - Von Sebastian Meurer

Die Türkei und Europa (Foto: Neuß-Grevenbroicher Zeitung vom 19. Februar 2004 - Von Sebastian Meurer)

Foto: Neuß-Grevenbroicher Zeitung vom 19. Februar 2004 - Von Sebastian Meurer

Passend zum Türkei-Besuch der CDU-Bundesvorsitzenden Angela Merkel baten CDU und Junge Union im Rhein-Kreis zu einer Diskussion über eine mögliche Mitgliedschaft der Türkei in der Europäischen Union.

Das Timing war exakt, doch abgesprochen sei angesichts des seit Wochen feststehenden Termins von Kreis-CDU und Junger Union nichts gewesen, wie CDU-Kreisvorsitzender Hermann Gröhe MdB beteuerte: Zeitgleich zum Türkei-Besuch von CDU-Chefin Angela Merkel ging es jetzt auch bei einer Diskussion im Neusser Caritashaus International um die Frage, ob die Türkei in absehbarer Zeit zum Vollmitglied der Europäischen Union werden, oder ob die EU mit ihr eine privilegierte Partnerschaft eingehen sollte.

Was sicherlich keine Überraschung ist: Substanziell Neues gegenüber den in Ankara geführten Gesprächen ergab die von José Narciandi moderierte Diskussion zwischen dem türkischen Botschaftsrat Mushin Kilicaslan und Peter Hintze, dem Europapolitischen Sprecher der CDU-Bundestagsfraktion, nicht. Verbindlich in der Form, doch in der Sache unnachgiebig, legten beide Gesprächspartner ihre konträren Standpunkte dar, ohne dass sich in dem zweistündigen Wortwechsel eine Annäherung ergeben hätte.

Mushin Kilicaslan, der früher unter anderem in der Europa-Abteilung des türkischen Außenministeriums und als Berater des Staatsministers für Menschenrechtsfragen tätig war, warb in einem eloquenten Plädoyer dafür , dass die Staats- und Regierungschefs der EU am Jahresende offizielle Verhandlungen über einen EU-Beitritt der Türkei beschließen sollten.

Nicht minder kräftig dagegen hielt der ehemalige CDU-Generalsekretär Peter Hintze, für den die EU nach der Erweiterung um zehn Länder im Mai und der für 2007 anvisierten Aufnahme Bulgariens und Rumänien erst einmal eine "Denkpause" einlegen sollte. Für die Türkei liefe dies aus der Sicht der Union auf eine privilegierte Partnerschaft hinaus, für die etwa an der seit 1995 bestehenden Zoll-Union mit der EU angeknüpft werden könnte.

Die von Kilicaslan angeführten Fortschritte der Türkei in punkto Rechtsstaatlichkeit und Menschenrechte konzedierte Hintze durchaus, wenngleich es mit der konkreten Umsetzung vieler Gesetzesreformen hapere.

Dass es auch in wirtschaftlicher Hinsicht noch manches Problem zu bewältigen gebe, räumte Mushin Kilicaslan ein: Vorausgesetzt, Ende diesen Jahres würden Beitrittsverhandlungen beschlossen, werde es denn auch sicherlich noch acht bis zehn Jahre dauern, bis die Türkei tatsächlich in die Europäische Union aufgenommen werden könnte.

Angesichts der in der Vergangenheit gemachten Zusagen an die Türkei sieht Kilicaslan nicht nur in der islamischen Welt einen erheblichen Glaubwürdigkeitsverlust Europas, sollte sich die EU gegen Beitrittsverhandlungen entscheiden. Zeitweise hitzig gestaltete sich die Fragerunde , an der sich etliche der 130 Zuhörer beteiligten. Das gern mit dem Begriff "kulturelle Unterschiede" kaschierte Thema Religion, aber auch die Gleichberechtigung von Kurden und Armeniern kamen überaus kontrovers zur Sprache.

Während der türkische Diplomat hier keine Probleme sieht und dafür heftigen Widerspruch erntete, meinte Peter Hintze, dass sich die Situation der weniger als ein Prozent der Bevölkerung ausmachenden Christen in der Türkei "etwas gebessert" habe, wobei abzuwarten bleibe, ob dies auch außerhalb der Metropolen Istanbul und Izmir von Dauer sei.

Mit Blick auf die anstehenden Wahlen zum Europaparlament wandte sich Peter Hintze, der auch Vizepräsident der Europäischen Volkspartei ist, gegen Forderungen, die Frage des - sachlich zu erörternden - EU-Beitritts der Türkei im Wahlkampf zu tabuisieren.